Stadt Wertheim, Baden-Württemberg
"Ich hab mir gedacht, 2024 muss man doch Protokolle schneller erstellen. Chat GPT war Thema – unser Beauftragter Christoph Schröder ist auf Suche gegangen und fündig geworden."

Ausgangssituation
Die Stadt Wertheim in Baden-Württemberg stand vor einer typischen Herausforderung vieler Kommunalverwaltungen: die zeitaufwändige manuelle Erstellung von Sitzungsprotokollen für Gemeinderatssitzungen und Ausschusssitzungen. Die herkömmliche Methode des Mitschreibens per Laptop während der Sitzungen erwies sich als ineffizient und ressourcenintensiv.
Nancy Riebe von der Stabsstelle Zentrale Steuerung erkannte die Notwendigkeit einer moderneren Lösung. Sie beauftragte Christoph Schröder mit der Suche nach innovativen Ansätzen zur Digitalisierung der Protokollerstellung, da moderne KI-Technologien wie ChatGPT bereits 2024 neue Möglichkeiten eröffneten.
Herausforderungen
Die Hauptherausforderungen der Wertheimer Stadtverwaltung umfassten verschiedene kritische Aspekte der traditionellen Protokollerstellung:
• Zeitaufwand: Die manuelle Erstellung der Protokolle nahm bisher 1-2 Tage in Anspruch, was erhebliche personelle Ressourcenbindung bedeutete und andere wichtige Verwaltungsaufgaben verzögerte.
• Fehleranfälligkeit: Das manuelle Mitschreiben während der Sitzungen war fehleranfällig und erforderte intensive Nachbearbeitung und Korrekturschleifen.
• Personelle Ressourcenbindung: Qualifizierte Mitarbeiter mussten für die zeitaufwändige Protokollerstellung eingesetzt werden, anstatt sich anderen wichtigen Verwaltungsaufgaben widmen zu können.
• Modernisierungsbedarf: Die Verwaltung erkannte die Notwendigkeit, ihre Prozesse zu digitalisieren und effizienter zu gestalten, um den Anforderungen einer modernen Kommunalverwaltung gerecht zu werden.
• Rechtliche Anforderungen: Bereits bei der Konzeption mussten die Vorgaben des EU AI Act sowie strenge Datenschutzbestimmungen berücksichtigt werden, um eine rechtskonforme Implementierung zu gewährleisten.
Einführung von SpeechMind
Bei der Suche nach einer geeigneten Lösung wurde Christoph Schröder, Leiter des Referats Digitalisierung und IKT der Stadt Wertheim, in Dresden bei der Firma SpeechMind fündig. Das Dresdner Unternehmen hatte bereits eine ähnliche KI-Technologie entwickelt, die ursprünglich für die Transkription von Interviews konzipiert war.
Entwicklungsprozess
Die Zusammenarbeit zwischen der Stadt Wertheim und SpeechMind führte zu einer maßgeschneiderten Lösung für die kommunale Verwaltung. Das ursprüngliche Interview-Tool wurde speziell für die Anforderungen der Protokollerstellung in Gemeinderatssitzungen weiterentwickelt. Besondere Aufmerksamkeit galt dabei der Anpassung an die Besonderheiten des Verlaufsprotokolls mit seiner charakteristischen indirekten Rede.
Technische Funktionalität
Die KI-Software funktioniert folgendermaßen unter strikter Einhaltung der Datenschutzbestimmungen:
- Tonaufzeichnung: Aufzeichnung der Sitzungen über hochwertige Tonaufnahmen
- KI-Verarbeitung: Automatische Erstellung eines ersten Protokollentwurfs durch KI
- Qualitätskontrolle: Nachbearbeitung und Überprüfung durch Verwaltungsmitarbeiter
- Dialekterkennung: Die Software erkennt sogar Dialekt, was für die regionale Anpassung wichtig ist
Pilotphase und Anpassungsprozess
Um die KI optimal an die spezifischen Anforderungen der kommunalen Protokollerstellung anzupassen, führte die Stadt Wertheim ein einjähriges Pilotprojekt durch. In dieser Phase wurde die Technologie kontinuierlich verfeinert und insbesondere für die Besonderheiten des Verlaufsprotokolls mit seiner charakteristischen indirekter Rede optimiert.
Strategische Überzeugungsarbeit: Der Weg zur Gemeinderatsentscheidung
Systematische Vorbereitung
Die Verwaltung wählte einen systematischen und transparenten Ansatz zur Überzeugung des Gemeinderats. Bereits Monate vor der entscheidenden Abstimmung wurden alle rechtlichen und organisatorischen Weichen gestellt:
Rechtliche Absicherung:
- Datenschutz-Check mit formeller Anfrage beim Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Baden-Württemberg (LfDI BW) im Februar 2024
- Beteiligung des Personalrats gemäß § 75 Abs.4 Nr. 11 LVPG unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des VG Sigmaringen 2017
- Änderung der Geschäftsordnung des Gemeinderats zur rechtssicheren Ermöglichung von Tonaufzeichnungen
Organisatorische Vorbereitung:
- Bildung einer interdisziplinären Arbeitsgruppe “KI-Protokollierung” für gemeinsame Evaluation
- Einholung von Einverständniserklärungen aller Gemeinderatsmitglieder und Ortschaftsvertreter
- Klare Ankündigung der Aufzeichnungen für vollständige Transparenz
Die gemeinsame Präsentation: Ein interdisziplinärer Ansatz
Das Thema der KI-gestützten Protokollerstellung wurde bewusst interdisziplinär von den Bereichen Sitzungsdienst und IT gemeinsam dem Gemeinderat präsentiert. Diese Doppelspitze unterstrich sowohl die praktische Relevanz als auch die technische Kompetenz des Projekts. Die Verwaltung nutzte eine durchdachte Argumentationsstrategie mit vier zentralen Säulen:
Effizienz-Argumente:
- Drastische Verkürzung der Nachbereitungszeit von Protokollen
- Vermeidung von “Protokoll-Staus” durch beschleunigte Bearbeitung
- Freisetzung personeller Ressourcen für andere wichtige Verwaltungsaufgaben
Qualitäts-Argumente:
- Exakte Protokollierung auch bei komplexen Diskussionen mit vielen Sprechenden
- Einheitliche Qualität der Protokoll-Entwürfe, unabhängig vom Protokollanten
- Signifikante Reduzierung fehleranfälliger manueller Protokollierung
Datenschutz- und Rechtssicherheits-Argumente:
- DSGVO-Konformität durch Prüfung des internen Datenschutz-Verantwortlichen
- Datenverarbeitung ausschließlich in Europa (Deutschland und Frankreich)
- Kein Datenzugriff durch den Anbieter SpeechMind
- Jederzeit löschbare Daten mit hinterlegbaren Automatismen
Technische Überzeugungskraft:
- Bewährte Technologie mit über 120 bereits nutzenden Kunden
- Flexible Unterstützung verschiedener Protokollarten (Kurz-, Wort-, Ergebnis-, Verlaufsprotokoll)
- Individuelles Design zur Anpassung an städtische Layout-Vorgaben
Außergewöhnliche Resonanz und konstruktive Diskussion
Die fundierte Präsentation erzeugte sofort spürbare Begeisterung im Gemeinderat. Das Gremium reagierte mit außergewöhnlich vielen interessierten Nachfragen, die von technischen Details über Datenschutzaspekte bis hin zur praktischen Umsetzung reichten. Diese lebhafte Diskussion zeigte deutlich: Die Gemeinderatsmitglieder erkannten das Potenzial der Innovation und wollten sie verstehen.
Anerkennung für proaktives Handeln
Ein entscheidender Moment der Sitzung war das explizite Lob der Gemeinderatsmitglieder. Sie würdigten ausdrücklich, dass die Verwaltung eigeninitiativ Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung untersucht und entwickelt hatte. Diese Wertschätzung für den innovativen Ansatz schuf eine außergewöhnlich konstruktive und aufgeschlossene Atmosphäre im Gremium.
Persönliche Würdigung durch den Bürgermeister
Den emotionalen Höhepunkt der Sitzung bildete der persönliche Dank des Bürgermeisters an alle Beteiligten des Projekts. Diese öffentliche Anerkennung vor dem gesamten Gemeinderat unterstrich nicht nur die Bedeutung des Projekts, sondern auch die Wertschätzung, die die Stadtspitze der Digitalisierung und Modernisierung der Verwaltung beimisst. Ein solcher Moment der Würdigung motiviert nicht nur die Beteiligten, sondern signalisiert auch dem gesamten Gremium die strategische Wichtigkeit des Vorhabens.
Das überzeugende Votum: Einstimmige Zustimmung
Nach der intensiven und konstruktiven Diskussion kam es zur entscheidenden Abstimmung. Das Ergebnis war eindeutig und beeindruckend: Der Gemeinderat stimmte einstimmig und ohne eine einzige Enthaltung oder Gegenstimme für die dauerhafte Implementierung der KI-gestützten Protokollerstellung.
Diese überwältigende Zustimmung war das direkte Ergebnis der systematischen Vorbereitung, der überzeugenden Argumentation und der transparenten Kommunikation. Besonders bemerkenswert: Das einjährige Pilotprojekt hatte die KI optimal an die Besonderheiten des kommunalen Verlaufsprotokolls mit seiner charakteristischen indirekten Rede angepasst – ein Detail, das die Gründlichkeit und Professionalität des Vorgehens unterstrich und das Vertrauen des Gremiums stärkte.
Erzielte Verbesserungen und Vorteile
1. Effizienzsteigerung
Die Implementierung der KI-Lösung führte zu beeindruckenden Ergebnissen:
- **50–60 % Zeitersparnis bei der Protokollerstellung: Der Weg zur Gemeinderatsentscheidung
- Reduzierte Bearbeitungszeit: Verkürzung des Aufwands von 1-2 Tagen auf etwa die Hälfte der Zeit
- Optimierte Arbeitsabläufe: Deutliche Verbesserung der Arbeitsabläufe in der Verwaltung
- Ressourcenfreisetzung: Mitarbeiter können sich anderen wichtigen Aufgaben widmen
2. Qualitätsverbesserung
Das System basiert auf einem zweistufigen Prozess: Die KI erstellt den Vorentwurf, der anschließend von den Verwaltungsmitarbeitern überprüft und bei Bedarf angepasst wird. Dies gewährleistet sowohl Effizienz als auch hohe Qualität der Protokolle unter Einhaltung aller datenschutzrechtlichen Bestimmungen.
3. Arbeitsplatzoptimierung
Die neue Technologie veränderte nicht die Arbeitsplätze, sondern optimierte sie. Die Mitarbeiter sind weiterhin für die Qualitätskontrolle und Nachbearbeitung der automatisch erstellten Protokollentwürfe zuständig, können jedoch ihre Zeit wesentlich effizienter nutzen.
4. Anerkennung und Auszeichnung
Das Projekt wurde mit dem prestigeträchtigen “Bewährt vor Ort”-Siegel des Deutschen Städte- und Gemeindebundes in der Kategorie “Verwaltung von morgen” ausgezeichnet. Die Auszeichnung erfolgte beim Kommunalkongress in Berlin vor rund 800 Teilnehmern aus Kommunen, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft.
Rechtliche Compliance und Datenschutz
EU AI Act Konformität
Von Beginn an wurde das Projekt unter Berücksichtigung der Vorgaben des EU AI Act entwickelt. Die KI-Anwendung erfüllt alle erforderlichen Standards für den Einsatz in der öffentlichen Verwaltung und gewährleistet Transparenz und Nachvollziehbarkeit der automatisierten Entscheidungsprozesse.
Datenschutz als Priorität
Strenge Datenschutzbestimmungen wurden von Anfang an mitgedacht und implementiert. Die Verarbeitung der Sitzungsaufzeichnungen erfolgt unter Einhaltung aller DSGVO-Vorgaben und kommunaler Datenschutzrichtlinien.
Fazit
Vorreiterrolle und Innovation
Wertheim hat sich als bundesweiter Vorreiter beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Kommunalverwaltung etabliert. Das Projekt zeigt exemplarisch, wie moderne Technologien erfolgreich in traditionelle Verwaltungsstrukturen integriert werden können.
Erfolgsrezept: Systematische Überzeugungsarbeit
Der Schlüssel zum Erfolg lag in der systematischen Vorbereitung und strategischen Überzeugungsarbeit. Die interdisziplinäre Präsentation durch Sitzungsdienst und IT, die fundierte rechtliche Absicherung und die transparente Kommunikation führten zur einstimmigen Zustimmung des Gemeinderats – ein Vorbild für andere Kommunen.
Nachahmungseffekt durch Auszeichnung
Die Auszeichnung mit dem “Bewährt vor Ort”-Siegel des Deutschen Städte- und Gemeindebundes macht das Projekt bundesweit sichtbar und regt zur Nachahmung an. Von 29 ausgezeichneten Projekten wurde Wertheims Ansatz als besonders innovativ bewertet.
Potenzial für die Verwaltung der Zukunft
Die erfolgreiche Implementierung unter Einhaltung von EU AI Act und Datenschutzbestimmungen demonstriert das Potenzial für weitere Optimierungen in der öffentlichen Verwaltung. Wertheim fungiert als praktisches Leuchtturmprojekt für die digitale Transformation kommunaler Strukturen.
Relevante Links
- L-TV Mediathek: Künstliche Intelligenz unterstützt Stadtverwaltung
- TV Mainfranken: Wertheimer Kommunalverwaltung bundesweit Vorreiter
- Stadt Wertheim: Wertheim ist bei KI-Einsatz bundesweiter Vorreiter
- Fränkische Nachrichten: Wertheim bei KI-Einsatz in Vorreiterrolle
- KLM Online: KI-Projekt aus Wertheim erhält bundesweite Auszeichnung
- Der Weg zur Gemeinderatsentscheidung
Schlüsselwörter: Künstliche Intelligenz, Kommunalverwaltung, Protokollerstellung, SpeechMind, Wertheim, Digitalisierung, KI-Transkription, Bewährt vor Ort, Effizienzsteigerung, Smart City, E-Government, Verwaltungsmodernisierung, Deutscher Städte- und Gemeindebund, EU AI Act, Datenschutz, DSGVO, Change Management, Gemeinderat, Verlaufsprotokoll